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Atomkraft: Außenseiter Deutschland?

Der relative Anteil nuklearer Erzeugung an der weltweiten Stromerzeugung nimmt kontinuierlich ab. Dennoch befinden sich 18 Monate nach der Katastrophe von Fukushima weltweit mehr Meiler in der Planung als vor dem Unglück. Anders als in Deutschland bleibt für eine Vielzahl an Ländern Kernkraft attraktiv.
Die Bundesregierung hat sich ein großes Ziel gesteckt. Deutschland plant als erste große Industrienation die Wende zu einem Energiesystem, das im Wesentlichen auf erneuerbare Energien basiert. Damit einhergehend wird, in bislang ungewohntem Einklang der politischen und öffentlichen Meinungen, bis zum Jahr 2022 das letzte deutsche Kernkraftwerk vom Netz gehen. Im Zuge dieser Bestrebungen nach der Katastrophe von Fukus-hima im Frühjahr 2011, schien auch die weltweite Nuklearbranche vor dem Niedergang zu stehen. Schlagzeilen über den Rückzug der deutschen Energieversorger RWE und E.ON aus Kernkraftprojekten in Großbritannien machten die Runde.
Doch über ein Jahr nach dem Unglück in Japan ist das Gegenteil der Fall. Eine zunehmende Anzahl an Ländern überdenkt ihre Energiepolitik im Hinblick auf Fragen der Versorgungssicherheit und Wegen zur Erreichung von Klimaschutzzielen. Zwar haben sich weltweit Atomprogramme verzögert, doch es gibt keine Anzeichen für einen flächendeckenden Niedergang. De facto hat sich die absolute Zahl der weltweit in Planung stehenden Atomkraftwerke sogar noch vergrößert, auch wenn der relative Anteil einer Stromerzeugung an der weltweit steigenden Nachfrage nach Elektrizität kontinuierlich abnimmt.
Statistiken der Internationalen Atomenergiebehörde und World Nuclear Association zeigen, dass in den beiden Jahren vor Fukushima rund 45 Länder angekündigt hatten, auch künftig auf nukleare Erzeugung zu setzen. Mittlerweile fassen, neben prominenten Aussteigern wie Deutschland und Belgien, fast 60 Länder Kernkraft-werke mit konkreten Plänen als realistische Option ins Auge. In Summe kann dies bis zum Jahr 2030 zu einem Zubau von rund 560 neuen Reaktoren führen. Die Erfahrung in vielen Ländern zeigt allerdings, dass es dort häufig bei Ankündigungen bleibt. Die Zahl der tatsächlich ans Netz gehenden Anlagen dürfte deshalb aller Voraussicht nach geringer sein.
Trotz dieser Einschränkung zeichnet sich vor dem Hintergrund der bereits beschlossenen Stilllegungsplänen, Laufzeitverlängerungen und der technisch realistischen Laufzeiten von Altanlagen eine Beobachtung zunehmend klarer ab: Die weltweite Nuklearbranche hat trotz der Katastrophe in Fukushima eine realistische Chance auf eine Neubelebung. In den Jahren bis 2020 ist zu erwarten, dass die Anzahl an Stilllegungen den Zubau von Kernkraftwerken, trotz bestehender Finanzierungsrisiken und der Zurückhaltung von Investoren, nicht über-steigen wird. Somit wird sich netto die Anzahl an weltweit in Betrieb befindlichen Kernkraftwerken erhöhen, auch wenn gegenteilige Aussagen weit verbreitet sind. Beispiele aus der europäischen Nachbarschaft verdeutlichen diese Kontroverse.
Nachdem China und Indien ihre ambitionierten Atomprogramme bereits nach einer kurzen Unterbrechung wieder auf die ursprüngliche Geschwindigkeit gebracht haben, laufen neben Finnland mittlerweile selbst in Polen, Litauen und der Tschechischen Republik die Neubauvorhaben auf Hochtouren. Reaktorhersteller wie zum Beispiel Areva, Rosatom und Mitsubishi arbeiten mit Hochdruck daran, ihre Lieferantennetzwerke in diesen Ländern aufzubauen. Auch der schwedische Energieversorger Vattenfall hat nach Jahren kontroverser Diskussionen im eigenen Land kürzlich einen Antrag auf eine Baubewilligung bei den Behörden eingereicht und hält sich damit die „nukleare Option“ wieder offen, nachdem das Parlament seinen bereits beschlossenen Atomausstieg wieder zurückgenommen hatte. Eine vergleichbare Empfehlung sprechen auch die Akademien der Wissenschaften der Schweiz aus: Im Hinblick auf die gewaltigen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Herausforderungen, solle ein Atomausstieg nicht übereilt und unumkehrbar durch den Bundesrat beschlossen werden, damit die Schweiz sich nicht die Option verschließt, neuartige Reaktorkonzepte nutzen zu können.
Hintergrund des neuerlichen Ausbaubooms ist besonders das Bestreben, langfristig eine sichere und wirtschaftliche Energieversorgung im eigenen Land aufrecht zu erhalten. Viele Länder sehen, mit welchen Schwierigkeiten der großflächige Ausbau erneuerbarer Energien wie beispielsweise Offshore-Wind verbunden ist. Nicht zuletzt ungelöste Fragen des Netzanschlusses und technologische Herausforderungen führen dazu, dass die Investitionen nicht den geforderten Renditen entsprechen. Ergänzend dazu erscheint der Bau und Betrieb neu-er Gaskraftwerke in der heutigen Erzeugungslandschaft oftmals keine wirtschaftliche, oder wie im Fall der Schweiz, umweltpolitisch gangbare Option zu sein. Gleichzeitig lässt sich der Bau neuer Kernkraftwerke aufgrund von Unwägbarkeiten in der gesellschaftspolitischen Debatte, wie das favorisierte Energiesystem der Zukunft aussehen soll, nur schwer rechnen.
Diese Entwicklungen lassen folgenden Schluss zu: In Deutschland ist eine technologieoffene Diskussion über eine nachhaltig tragfähige Energiewende überfällig. Ein nüchterner Blick auf die Machbarkeit unterschiedlicher Technologien erneuerbarer, konventioneller oder nuklearer Erzeugung könnte zum Ergebnis führen, dass alle etablierten Erzeugungstechnologien bis auf weiteres, wenngleich zu unterschiedlichen Anteilen, ihren Platz im nationalen Erzeugungsportfolio beibehalten müssen, um die Energiewende langfristig möglich zu machen. In Deutschlands Nachbarländern ist man sich dessen bewusst.

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Atomkraft: Außenseiter Deutschland?

Der relative Anteil nuklearer Erzeugung an der weltweiten Stromerzeugung nimmt kontinuierlich ab. Dennoch befinden sich 18 Monate nach der Katastrophe von Fukushima weltweit mehr Meiler in der Planung als vor dem Unglück. Anders als in Deutschland bleibt für eine Vielzahl an Ländern Kernkraft attraktiv.
Die Bundesregierung hat sich ein großes Ziel gesteckt. Deutschland plant als erste große Industrienation die Wende zu einem Energiesystem, das im Wesentlichen auf erneuerbare Energien basiert. Damit einhergehend wird, in bislang ungewohntem Einklang der politischen und öffentlichen Meinungen, bis zum Jahr 2022 das letzte deutsche Kernkraftwerk vom Netz gehen. Im Zuge dieser Bestrebungen nach der Katastrophe von Fukus-hima im Frühjahr 2011, schien auch die weltweite Nuklearbranche vor dem Niedergang zu stehen. Schlagzeilen über den Rückzug der deutschen Energieversorger RWE und E.ON aus Kernkraftprojekten in Großbritannien machten die Runde.
Doch über ein Jahr nach dem Unglück in Japan ist das Gegenteil der Fall. Eine zunehmende Anzahl an Ländern überdenkt ihre Energiepolitik im Hinblick auf Fragen der Versorgungssicherheit und Wegen zur Erreichung von Klimaschutzzielen. Zwar haben sich weltweit Atomprogramme verzögert, doch es gibt keine Anzeichen für einen flächendeckenden Niedergang. De facto hat sich die absolute Zahl der weltweit in Planung stehenden Atomkraftwerke sogar noch vergrößert, auch wenn der relative Anteil einer Stromerzeugung an der weltweit steigenden Nachfrage nach Elektrizität kontinuierlich abnimmt.
Statistiken der Internationalen Atomenergiebehörde und World Nuclear Association zeigen, dass in den beiden Jahren vor Fukushima rund 45 Länder angekündigt hatten, auch künftig auf nukleare Erzeugung zu setzen. Mittlerweile fassen, neben prominenten Aussteigern wie Deutschland und Belgien, fast 60 Länder Kernkraft-werke mit konkreten Plänen als realistische Option ins Auge. In Summe kann dies bis zum Jahr 2030 zu einem Zubau von rund 560 neuen Reaktoren führen. Die Erfahrung in vielen Ländern zeigt allerdings, dass es dort häufig bei Ankündigungen bleibt. Die Zahl der tatsächlich ans Netz gehenden Anlagen dürfte deshalb aller Voraussicht nach geringer sein.
Trotz dieser Einschränkung zeichnet sich vor dem Hintergrund der bereits beschlossenen Stilllegungsplänen, Laufzeitverlängerungen und der technisch realistischen Laufzeiten von Altanlagen eine Beobachtung zunehmend klarer ab: Die weltweite Nuklearbranche hat trotz der Katastrophe in Fukushima eine realistische Chance auf eine Neubelebung. In den Jahren bis 2020 ist zu erwarten, dass die Anzahl an Stilllegungen den Zubau von Kernkraftwerken, trotz bestehender Finanzierungsrisiken und der Zurückhaltung von Investoren, nicht über-steigen wird. Somit wird sich netto die Anzahl an weltweit in Betrieb befindlichen Kernkraftwerken erhöhen, auch wenn gegenteilige Aussagen weit verbreitet sind. Beispiele aus der europäischen Nachbarschaft verdeutlichen diese Kontroverse.
Nachdem China und Indien ihre ambitionierten Atomprogramme bereits nach einer kurzen Unterbrechung wieder auf die ursprüngliche Geschwindigkeit gebracht haben, laufen neben Finnland mittlerweile selbst in Polen, Litauen und der Tschechischen Republik die Neubauvorhaben auf Hochtouren. Reaktorhersteller wie zum Beispiel Areva, Rosatom und Mitsubishi arbeiten mit Hochdruck daran, ihre Lieferantennetzwerke in diesen Ländern aufzubauen. Auch der schwedische Energieversorger Vattenfall hat nach Jahren kontroverser Diskussionen im eigenen Land kürzlich einen Antrag auf eine Baubewilligung bei den Behörden eingereicht und hält sich damit die „nukleare Option“ wieder offen, nachdem das Parlament seinen bereits beschlossenen Atomausstieg wieder zurückgenommen hatte. Eine vergleichbare Empfehlung sprechen auch die Akademien der Wissenschaften der Schweiz aus: Im Hinblick auf die gewaltigen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Herausforderungen, solle ein Atomausstieg nicht übereilt und unumkehrbar durch den Bundesrat beschlossen werden, damit die Schweiz sich nicht die Option verschließt, neuartige Reaktorkonzepte nutzen zu können.
Hintergrund des neuerlichen Ausbaubooms ist besonders das Bestreben, langfristig eine sichere und wirtschaftliche Energieversorgung im eigenen Land aufrecht zu erhalten. Viele Länder sehen, mit welchen Schwierigkeiten der großflächige Ausbau erneuerbarer Energien wie beispielsweise Offshore-Wind verbunden ist. Nicht zuletzt ungelöste Fragen des Netzanschlusses und technologische Herausforderungen führen dazu, dass die Investitionen nicht den geforderten Renditen entsprechen. Ergänzend dazu erscheint der Bau und Betrieb neu-er Gaskraftwerke in der heutigen Erzeugungslandschaft oftmals keine wirtschaftliche, oder wie im Fall der Schweiz, umweltpolitisch gangbare Option zu sein. Gleichzeitig lässt sich der Bau neuer Kernkraftwerke aufgrund von Unwägbarkeiten in der gesellschaftspolitischen Debatte, wie das favorisierte Energiesystem der Zukunft aussehen soll, nur schwer rechnen.
Diese Entwicklungen lassen folgenden Schluss zu: In Deutschland ist eine technologieoffene Diskussion über eine nachhaltig tragfähige Energiewende überfällig. Ein nüchterner Blick auf die Machbarkeit unterschiedlicher Technologien erneuerbarer, konventioneller oder nuklearer Erzeugung könnte zum Ergebnis führen, dass alle etablierten Erzeugungstechnologien bis auf weiteres, wenngleich zu unterschiedlichen Anteilen, ihren Platz im nationalen Erzeugungsportfolio beibehalten müssen, um die Energiewende langfristig möglich zu machen. In Deutschlands Nachbarländern ist man sich dessen bewusst.